Im Mai 1871 wurden die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in das deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen. Auch heute noch steht ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland unter Strafe und wird unter bestimmten Voraussetzungen lediglich straffrei gestellt. Ärzt*innen dürfen nicht eigenständig über Möglichkeiten des Eingriffes, Risiken etc. informieren und müssen sich die Fähigkeiten einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu können meist über Umwege aneignen, da diese kein standartmäßiger Teil der Facharztausbildung sind.

Es gibt inzwischen einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass die Entscheidung für oder gegen das Austragen einer Schwangerschaft nur die schwangere Person allein treffen kann und diese hierfür einen wertfreien Rahmen und Unterstützung benötigt. Die Regelung im Strafgesetz steht dieser Haltung allerdings entgegen und missbilligt nicht nur die Entscheidungsfreiheit der schwangeren Person sondern grundsätzlich implementiert und kriminalisiert auch alle Personen, die im Rahmen dieser Entscheidungsfindung und der Umsetzung eines Eingriffes beteiligt sind.

Es wird Zeit, über alternative Regelungen nachzudenken, die ungewollt Schwangere nicht kriminalisiert und sexuelle und reproduktive Rechte und Gesundheit in den Fokus rücken.

Am 28.09.2021, dem internationalen safe abortion day, fand in Magdeburg auf dem Ulrichsplatz der Aktionstag „150 Jahre Kriminalisierung sind genug! Schwangerschaftsabbruch – Recht statt Verurteilung“ der pro familia Sachsen-Anhalt statt. Die Initiatorinnen gingen mit Vertreter*innen verschiedener Parteien und Professionen ins Zwiegespräch zu den jeweiligen Standpunkten und möglichen Veränderungsperspektiven rund um das Thema §§218ff und deren Abschaffung gehen. Ergänzend gab es Angebote mit Informationen zur aktuellen gesetzlichen Lage in Deutschland sowie der Versorgung in Sachsen-Anhalt und historischen Aspekten zur Verfügung. Die Akteuer*innen und politische Vertreter*innen brachten ihre Haltung und Forderungen auch kreativ zum Ausdruck.

Eva von AngernGeschichte des Paragrafen 218Tobias Krull

Als Gäste waren unter anderem Eva von Angern (Vorsitzende Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt e.V.), Tobias Krull (CDU), Astrid Herrmann-Haase (Wildwasser Magdeburg) und Heike Ponitka (Frauenbeauftragte Stadt Magdeburg).

Hintergrund:
Durch die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetzbuch ist das Thema von vornherein negativ besetzt, stigmatisierend und moralisch aufgeladen. Zudem hat diese Verortung gravierende Folgen für die Versorgung. Ärzt*innen die auf ihren Webseiten über die Art und Weise, wie sie die Eingriffe durchführen, informieren, droht ihnen eine Verurteilung wegen §219a StGB. Festzustellen ist auch, dass die Zahl der Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, seit Jahren stark abnimmt und die Versorgung in einigen Regionen Deutschlands nicht sichergestellt ist. Ein Grund dafür ist, dass Ärzt*innen Ablehnung und Stigmatisierung fürchten – und Angriffe von Menschen, die Schwangerschaftsabbrüche komplett verbieten möchten. Frauen*, die in die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Beratung kommen, sind verunsichert, denn sie bekommen durch den verpflichtenden Charakter den Eindruck, etwas Illegales, Tabuisiertes zu tun. Die Botschaft, die bei ihnen ankommt, lautet: Wir trauen dir die Entscheidung alleine nicht zu! Das empfinden viele Frauen* als entmündigend.

„Die strafgesetzliche Regelung ist nicht mehr zeitgemäß und wird den aktuellen Bedürfnissen und Erfordernissen in der Gesellschaft nicht gerecht“, ergänzt Stephanie Schlitt, stellvertretende Vorsitzende. „Es ist Zeit, zu prüfen, wie wir dahin kommen können, dass unsere Gesellschaft das Recht auf eine selbstbestimmte Entscheidung zur Fortführung oder zum Abbruch einer Schwangerschaft anerkennt, ohne das Strafrecht zu bemühen. Gleichzeitig müssen alle Frauen* jegliche Unterstützung erhalten, die sie brauchen, einschließlich des Angebots, eine – freiwillige –Beratung zu allen Fragen der Schwangerschaft in Anspruch zu nehmen, wenn sie das möchten.“
Für pro familia steht das Recht auf Selbstbestimmung im Kontext von sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten im Mittelpunkt. Für den Verband ist deshalb die Forderung zentral, dass die Entscheidung über das Austragen oder den Abbruch einer Schwangerschaft frei von Strafandrohungen und staatlicher Einflussnahme möglich sein muss. Frauen* haben das Recht auf umfassende medizinische Versorgung, Beratung und Information. pro familia will einen Prozess anstoßen, mit dem Ziel einer menschenrechtsbasierten Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.


Link zur Kampagnenseite: www.profamilia.de/150jahre