Weißenfels. Sorgearbeit umfasst die unbezahlte Kinderbetreuung, Altenpflege aber auch familiäre Unterstützung oder Hilfe unter Freunden. Indem der Begriff Arbeit häufig verkürzt mit bezahlter Erwerbsarbeit gleichgesetzt wird, wird der Wert unbezahlter Sorgearbeit unsichtbar gemacht.Diese Einschätzung war auch Tenor der diesjährigen Frauentagsveranstaltung in Weißenfels. 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren auf Einladung des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, des Landesfrauenrates LSA und der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten am 06. März zusammengekommen, um über eine moderne Zeit- und Vereinbarungspolitik zu debattieren.

Ausgangspunkt der Debatte waren aktuelle Zahlen einer Zeitverwendungserhebung des Bundesamtes für Statistik. Danach haben Frauen in Deutschland im Jahr 2022 rund 9 Stunden mehr unbezahlte Arbeit pro Woche geleistet als Männer. Die Hälfte dieser Zeit besteht aus klassischer Hausarbeit. Jede vierte erwerbstätige Mutter empfindet ihre Zeit für Erwerbsarbeit als zu knapp bemessen – jeder vierte Vater findet, dass er zu viel Zeit im Job verbringt.

Frauentagsveranstaltung_Weißenfels_2024, copyrigth: Raghad Haj MoustafaFrauentagsveranstaltung_Weißenfels_2024, copyrigth: Raghad Haj MoustafaDie Erhebung zeigt auch, dass Frauen in Ostdeutschland auf 30 Wochenstunden unbezahlter Sorgearbeit kommen, Männer hingegen auf 22 Stunden. „Rechnet man die Erwerbsarbeit hinzu, haben Frauen in Ostdeutschland im Durchschnitt pro Woche rund 4 Stunden weniger Zeit für Erholung, Freizeit und Ehrenamt als Männer“, erklärt Landesgleichstellungsbeauftragte Sarah Schulze. Sie fordert eine faire Aufteilung der Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern. „Vereinbarkeit geht nur gemeinsam. Erwerbs- und Sorgearbeit müssen zusammen gedacht werden – für alle Geschlechter und über den gesamten Lebensverlauf hinweg.“

Viel zu oft werde der Begriff Arbeit verkürzt mit bezahlter Erwerbsarbeit gleichgesetzt, so Schulze. „Erwerbs- und Sorgearbeit müssen zusammengedacht werden und sind gleich viel wert. Familien funktionieren schließlich nur, wenn alles stimmt: das Einkommen und die Familienorganisation.“

Mit diesem Fokus startete die Frauentagsveranstaltung mit den Grußworten der Gastgeber:innen. „Wer die Erwerbsbeteiligung von Müttern verbessern will, muss auch Vätern Vereinbarkeitsangebote unterbreiten. Ich freue mich daher sehr, dass sich auch in unserem Bundesland immer mehr Unternehmen auf den Weg machen und mit flexibleren Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle und neuen Möglichkeiten der Digitalisierung ihren Beitrag zur besseren Vereinbarkeit leisten“, sagt Gleichstellungsministerin Petra Grimm-Benne in ihrem Videostatement.

 

 

Neben Grußworten gab es Poetry Slam von MINDdrop e.V aus Magdeburg: Mit Schlagfertigkeit und Wortwitz unterhielten die Slammerinnen mit ihrer Sicht auf Frauen und deren Rolle in der Gesellschaft. Die Botschaft: Sei du selbst, alles andere lohne sich nicht. 

Teresa Bücker, copyright: LFR LSATeresa Bücker, copyright: LFR LSA

Höhepunkt war der Vortrag der Journalistin und Autorin Teresa Bücker mit ihrem feministischen Blick auf Zeit und wie diese neu und radikaler gedacht werden kann: "Zu wenig Zeit ist ein gesellschaftlich hervorgebrachtes Problem, was nicht individuell durch besseres Zeitmanagement lösen lässt. Zeitgerechtigkeit ist damit keine private Frage, sondern eine der Macht." Zeit sei auch gesundheitspolitisch relevant: "Um bei guter Gesundheit altern zu können, müssen wir bei guter Gesundheit arbeiten dürfen". 

Hier die Präsentation von Theresa Bücker als PDF: pdfTeresa_Bücker_Alle_Zeit.pdf

Im nachfolgenden Teil der Fachtagung stellte Dr. Karin Jurczyk von der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik ihr Optionszeitenmodell vor: Jedem Menschen steht ein vergütetes Carezeit-Budget von neun Jahren zur Verfügung, was individuell im Lebenslauf eingeplant werden kann. Ob Kinder oder nicht - das Budget kann für jede Art von Sorgearbeit eingesetzt werden. Sie betonte: "Care ist nicht nur systemrelevant, ohne Care gibt es überhaupt kein System. Care ist die Basis von allem."

Hier die Präsentation von Dr. Karin Jurczyk als PDF: pdfOZM_Frauentag24_kj.pdf

Wie Männer und Väter für eine partnerschaftliche Zeit- und Vereinbarkeitspolitik gewonnen werden können, zeigte Klaus Schwerma vom Bundesforum Männer auf. Als größte Herausforderung wertete er traditionelle Männlichkeitserwartungen. Generell sei die Bereitschaft von Männern und Vätern aber groß, für mehr Gleichstellung einzutreten.

Hier die Präsentation von Klaus Schwerma als PDF: pdfKlaus_Schwerma_Bundesforum_Männer.pdf

In der abschließenden Podiumsdiskussion war die praktische Umsetzung von Gleichstellung in Sachsen-Anhalt Thema. So wurde diskutiert, wie der Gender Care Gap noch weiter geschlossen werden kann, warum Genderklischees bereits im Kindergartenalter aufgebrochen werden müssen und warum es gerade für gesundheitsbezogene Berufe Schulgeldfreiheit braucht. 

 

 

 

Der Offene Kanal Merseburg hat die Veranstaltung multimedial begleitet und eine Aufzeichnung in leicht gekürzter Form ist seitdem in der Mediathek unter: https://okmq.de/video/uebertragung-der-zentralen-frauentagsveranstaltung-des-landes-sachsen-anhalt-2024-aufzeichnung/ zu finden.

Ebenso gibt es einen Radiobeitrag, umgesetzt von Elke Prinz, im Rahmen der Sendung FrauenLeben des Radio-Senders Corax und unter folgendem Link nachhörbar: 

mp3.radiocorax.de/mp3/027_FrauenLeben/2024_03_16_1600_FrauenLeben_Zeitverwendung.mp3 .